Ich war ganz weit unten: Krank, verschuldet, arbeitslos, arm, einsam und völlig verzweifelt.
Gut, dass ich nicht aufgegeben habe – dann wäre mir all das Glück entgangen, das ich heute erlebe.
Leseprobe:
„Ich will ein Buch schreiben. Schließlich gibt es eine wichtige Geschichte zu erzählen, eine, die wegen ihrer Brisanz jeder kennen sollte. Aber, ehrlich gesagt, geht es mir gar nicht um die Geschichte. In Wahrheit habe ich Geldsorgen, schlimme Geldsorgen. Mein Mann Hardy ist arbeitslos, unsere Kinder sind klein, die Gasheizung ist abgestellt, wir heizen nur die Küche mit dem offenen elektrischen Backofen, und es ist ein schweinekalter Winter.
Dennoch bin ich zuversichtlich, denn der Stoff für mein geplantes Buch ist – da bin ich sicher – wichtig, zeitlos und spannend: Es geht um Gier und um Neid, um hohe Ziele und kühne Träume, es handelt von diversen Machenschaften im Strukturvertrieb eines Finanzkonzerns.
Die alte versenkbare Gritzner-Nähmaschine von mei- ner Oma ist zum Schreibtisch umfunktioniert, nicht groß, aber für den Anfang gehts. Es passt nur die ge- brauchte Schreibmaschine darauf, die ich für fünfzig Mark auf dem Flohmarkt gekauft habe. Durchschlag- papier, ein Fläschchen Tipp-Ex und fünfhundert Blätter sind griffbereit auf einer umgedrehten Wäschewanne neben der Nähmaschine angeordnet.
Die Kinder sind im Bett, Hardy sitzt am Küchentisch und liest, und ich habe im Wohnzimmer die Tür hinter mir geschlossen. Trotz der beiden Jogginganzüge und der zwei Paar Socken, die ich übereinander trage, bin ich bis zum Bauch in meine Bettdecke gewickelt. Es ist eisig und still im Haus.
Gerührt betrachte ich die graue Schreibmaschine, weil sie nun mein Werkzeug ist, mit dem ich das ganze Elend beenden werde, und weil ich weiß, dass dies ein besonde- rer Moment ist. Ich bin 34 Jahre alt, genau das richtige Alter, um eine Karriere zu starten. Es kann losgehen.
Feierlich gestimmt lege ich das Blaupapier zwischen zwei weiße Bögen, spanne sie mit ausholenden Bewegun- gen in die Maschine ein und lasse meine Finger knacken.
Ich fange an. Über den ersten Satz denke ich gar nicht lange nach, denn ich finde es gut, den Leser direkt an- zusprechen. Angestrengt tippe ich mit zwei Fingern folgende Sätze:
W nn Si j tzt in in r Buchhandlung od r in m Kaufhaus di s s Buch in di Hand g nomm n hab n, um darin zu blätt rn und di rst n Sätz zu l s n, klapp n Si s zu! G h n Si zur nächst n Kass und bezahl n Si s. Ich v rsich r Ihn n, di s r Kauf hilft mir und m in r Famili in gut s Stück w iter. Empf hl n Si s all ihr n Fr und n und B kannt n, bitt! Ig ntlich hab ich mir in rst s Buch ganz and rs vorg st llt, und rst r cht di Umständ, unt r d n n s ntst h n sollt .
Sie verstehen kein Wort? Stellen Sie sich mein Entsetzen vor. Das »e« ist kaputt!
Ich schreie. Schlage mit flachen Händen auf die Tasta- tur, es rattert und rattert, tock, tock, tock, auf dem Blatt erscheinen im Maschinengewehrtakt willkürliche Buch- staben. Aber es erscheint kein einziges »e«.
Ich trete gegen die Wäschewanne, Blätter, Tipp-Ex und die Schachtel mit dem Blaupapier fliegen durchs Zimmer. Ich beiße in den Zipfel der Bettdecke, will mein Gebrüll darin ersticken. Hardy steht plötzlich in der Tür und sieht das Chaos: »Um Gottes willen!«
Ich fluche und heule, springe auf, renne aus dem Zimmer, knalle die Tür hinter mir so heftig zu, dass die Fensterscheiben zittern und tobe durch das kleine Haus. Treppe rauf, Treppe runter, Treppe rauf. Ich raufe mir die Haare, trommele an die Wand, jammere, zetere, weine, bis ich kaum noch Luft kriege und mir der Rotz in den Mund läuft.
Erschöpft setze ich mich auf die unterste Treppenstufe. Eine Stunde oder länger sitze ich da, starre in die Luft, zittere vor Kälte, gehe schließlich mit steifen Beinen in die Küche, wärme mich vor dem offenen Backofen auf. Die Heizschlangen darin glühen. Scheiß auf die Strom- rechnung, was soll ich tun.
Hardy gießt den Rest Tee aus der Thermoskanne in eine Tasse, reicht sie mir, ich nehme sie in beide Hände, spüre, wie meine Finger langsam wieder warm werden. Schniefend ziehe ich die Nase hoch. Werfe den Kopf in den Nacken. Nicht mit mir! So nicht, Schicksal! Ich su- che mir also einen Bleistift und füge fein säuberlich viele kleine »e« ein, um dann dieses Ergebnis zu lesen:
Wenn Sie jetzt in einer Buchhandlung oder einem Kaufhaus dieses Buch in dieHand genommen haben, um darin zu blättern und die ersten Sätze zu lesen, klappen Sie es zu! Gehen Sie zur nächsten Kasse und bezahlen Sie es. Ich versichere Ihnen, dieser Kauf hilft mir und meiner Familie ein gutes Stück weiter. Empfehlen Sie das Buch all ihren Freunden und Bekannten, bitte! Eigentlich habe ich mir mein erstes Buch ganz anders vorgestellt, und erst recht die Umstände, unter denen es entstehen sollte.Ich wollte ein großes weißes Haus, mit Säulen vor dem Portal und ondulierten Buchsbäumchen in Terra- kottatöpfen neben der Eingangstür. Ich hatte in meinen Träumen ein Arbeitszimmer, dessen Wände vom Boden bis zur Decke mit Büchern bedeckt waren, und einen englischen Schreibtisch mitten im Raum. Ich stellte mir ein Kaminfeuer vor, das knisterte und flackerte und wei-che Schatten an die Bücherwände warf …Wie peinlich und hysterisch ich das später selbst finden werde, weiß ich jetzt noch nicht.
Aber ich schreibe weiter! Für das e mache ich jedes Mal ein Leerzeichen und füge die fehlenden Buchstaben später per Hand ein.
Wäre ja gelacht, wenn mich ein ordinäres »e« vom Bestseller abhielte.
Taschenbuch, 244 Seiten, 9,90 €
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